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   Rudolf Koch und Wilhelm Kingspor

  Ich bin geboren zu Nürnberg am 20 November 1876 als drittes Kind und einziger Sohn des Bildhauers Paul Franziskus Koch. Mein Vater stammt aus Hamburg, meine Mutter aus dem Vogtland. Beide waren erst im Jahre meiner Geburt nach Nürnberg gekommen. Mein Vater hat in bitterer Armut angefangen; als ich zur Welt kam, war er Inspektor am bayrischen Gewerbemuseum mit einem sehr dürftigen Gehalt, das ihn zwang, jede freie Stunde für Nebenarbeiten zu verwenden. Er war eine starke Arbeitskraft, erwies sich später als ein sehr tüchtiger Ausstellungsleiter und hatte sich auf diesem Gebiet einen Namen gemacht, als er im Jahre 1886 im Alter von einundvierzig Jahren starb.

  Ursprünglich für das Gymnasium bestimmt, besuchte ich von seinem Tode ab die Realschule, da bei den geringen Geldmitteln eine Verkürzung des Bildungsganges notwendig war. Ein alter Geschäftsfreund meines Vaters nahm mich 1892 in sein Geschäft, eine Metallwarenfabrik in Hanau, auf, wo ich als Ziseleur lernte. Nebenbei besuchte ich die Zeichenakademie. Bei elfstündiger Arbeitszeit und mehrmals zwei Stunden Unterricht des Abends wurden die Lehrlinge sehr streng gehalten. Ich durfte nur zu Weihnachten auf acht Tage nach Hause fahren, und diese Tage waren für mich die Hoffnung des ganzen Jahres. Einige Zeit war ich ganz in der Akademie als Lehrling bei August Ofterdinger, und ich verdanke diesem Lehrer, wie auch der ganzen Schule, eine gediegene Grundlage meiner Ausbildung. Nach und nach erwachte in mir das Gefühl, daß das Ziselieren nicht der rechte Beruf für mich sei, und ich erreichte es, daß ich noch vor Ablauf des vierten Lehrjahres in die Heimat zurückkehren konnte, wo ich 1896 Schüler der Nürnberger Kunstgewerbeschule wurde. Wenn dort nicht ein gutgeleiteter Aktsaal gewesen wäre, hätte ich nicht viel gelernt, denn die neuerbaute Schule schien mehr eine Pensionsanstalt für verdiente Professoren als eine Bildungsstätte für die Jugend zu sein.

   Nach drei Semestern faßte ich den Entschluß, Zeichenlehrer zu werden, ging nach München an die Technische Hochschule, wurde aber nach zwei Semestern, als ich mich zur Prüfung meldete, nicht zugelassen, da ich meine Ausbildung zum Teil außerhalb Bayerns gefunden hatte. So suchte ich eine Stellung als Zeichner und Maler in einer lithographischen Anstalt. Merkwürdigerweise fand ich eine solche bei Wezel & Naumann in Leipzig, denn ich konnte weder zeichnen noch malen. Aber der damals eben in Schwung kommende Jugendstil, dem ich mit Leib und Seele anhing, täuschte in meinen Probearbeiten über alles hinweg. Kaum war ich in Leipzig, da wurde ich von dem Geschäft auf einige Wochen nach London geschickt, um bei dem Hauptkunden, Raphael Tuck & Sons, Kalenderentwürfe zu machen. Aber was ich machte, konnte man nicht brauchen, und recht kleinlaut kehrte ich nach Leipzig zurück, und ich kündigte im Bewußtsein meiner Unzulänglichkeit meinem Brotherrn meine Stellung, der sehr glücklich darüber war. Ich lief nun in Leipzig herum mit einer Mappe voll Arbeiten, die ich aus dem Kopf gemacht hatte im Stile dessen, was ich so zu sehen bekam, aber kein Mensch konnte mich brauchen, und ich war sehr einsam und verlassen. Da erzählte mir einmal jemand beim Mittagessen, daß es doch auch ein Buchgewerbe gäbe. Das hatte ich bisher noch nicht gewußt, und sofort hatte ich das Empfinden, daß hier mein wahrer Beruf liege. Ich lief nach Hause und zeichnete zwei Buchdeckel und einen Entwurf für ein Postkartenalbum mit einer Radfahrerin drauf und Jugendstillinien. Damit ging ich, der ich sehr ängstlich und bescheiden geworden war, zu dem alten Leipziger Graveur Hugo Horn, der mich aber nicht, wie ich erwartet hatte, hinauswarf, sondern der mir sogar Mut machte und die Buchdeckel abkaufte.

   Zu Weihnachten 1898 fuhr ich mit meinem letzten Geld nach Nürnberg, um von dort eine neue Stellung zu suchen. Die Heimkehr war nicht sehr glänzend, Vormund und Bekannte sahen mich als ein mißglücktes Genie an, und die Mutter, die still im Herzen die stolzesten Hoffnungen auf ihren Sohn gehabt hatte, begrub diese. Aber ich zeichnete wacker meine Jugendstilwasserrosen und erlangte mit diesen Entwürfen tatsächlich eine Anstellung als Zeichner in Leipziger Großbuchbinderei A.G., vormals Gustav Fritzsche, mit einem bescheidenen Wochenlohn. Damit waren meine jugendlichen Irrfahrten zu Ende. Mehr, als ich hier sagen konnte, hat auf diesen Jahren die Härte des Lebens gelastet, und es war in jeder Hinsicht eine schwere Jugend. In der neuen Stellung fing ich eigentlich erst an zu lernen, aber ich kam sofort in ein rechtes Verhältnis zur Arbeit und war schon bald ein brauchbarer Zeichner. Drei Jahre lang, 1899 bis 1902, saß ich dort, und als ich mich nun selbständig machte und wieder mit meiner Mappe in Leipzig herumlief, schickte man mich nicht wieder fort, sondern ich fand Arbeit, wo ich hinkam. Da tat ich das, was die meisten jungen Leute tun, wenn sie kaum mit dem Kopf über Wasser sind: ich heiratete, und zwar 1903 die Tochter des Kupferdruckers Adolf Koch und halte heute noch diese Tat für die klügste meines Lebens. Vier Jahre war ich noch in Leipzig als Buchgewerbezeichner, und Gott mag mirs verzeihen, was ich in all den Jahren an Werken in die Welt setzte.

   Im Herbst 1903 kam mir, angeregt durch eine Abbildung mit Text der Zeitschrift „Jugend“ die Idee, daß es doch möglich sein müßte, mit einer Rundschriftfeder eine Druckschrift zu schreiben. Als ich anfing, hatte ich keine Kenntnisse von Schriften, aus der Zeitung suchte ich mir die Buchstabenformen zusammen, aber der Charakter war eigentlich vom ersten Strich an da; ich habe heute noch diese ersten Versuche in meiner Mappe liegen. Länger als ein Jahr arbeitete ich in aller Stille mit großem Fleiße. Der erste, der auf diese Arbeiten aufmerksam wurde und Verständnis für sie hatte, war Hans Weber, Mitinhaber von J.J.Weber in Leipzig. Für ihn machte ich die ersten praktischen Arbeiten dieser Art, und sein frischer Anteil an diesen Dingen hat mich sehr gefördert. An Eugen Diederichs schickte ich einiges; er war sofort gewonnen und gab mir den Auftrag, ein Buch auszustatten. Die Träume meiner Jugend gingen in Erfüllung. Da las ich in der Zeitung, daß die Rudhardsche Gießerei, die Schöpferin der Eckmann- und Behrensschrift, deren junger Ruhm in aller Munde war, einen Mitarbeiter suche. Trotzdem etwas ganz anderes verlagt wurde, als ich zu leisten fähig und geneigt war, schrieb ich einfach dorthin und wer ich sei und daß ich sehr gern käme.

   Und auch das gelang, und Anfang 1906 zog ich als Mitarbeiter der Rudhardschen Gießerei nach Offenbach am Main. Hier kam ich nun zum Durchbilden meiner Ausdrucksmittel. Es entstanden vor allem die Druckschriften und daneben die Einzelarbeiten. Im Krieg wurde ich 1915 Grenadier in Berlin und kam als solcher nach Serbien, Frankreich und Rußland und immer in der Kampftruppe und immer als gemeiner Soldat. Der Gewinn dieser Zeit ist in Worten nicht ausdrückbar, der aufmerksame Beobachter wird an den Abbildungen die Wendung merken, die in dieser Zeit mit mir vorgegangen ist. So lebe ich mit dieser Unterbrechung jetzt seit fünfzehn Jahren in Offenbach am Main als Familienvater, als Schriftzeichner der Gebrüder Klingspor, als Schriftlehrer an der Kunstgewerbeschule und in meiner freien Zeit dann als Schreiber von Handschriften.

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